Montag, 14. September 2020

Meine bisher krasseste Bergerfahrung

Chiesetta degli Alpini
Ich weiß! Ich habe hier schon sehr, sehr lange nichts mehr geschrieben. Diese Erfahrung muss ich aber einfach mal wieder niederschreiben und ich denke auch, dass ich demnächst mal eine kleine Zusammenfassung darüber schreibe, was ich in den letzten Monaten alles so gemacht und erlebt habe.

Ich war gerade auf einem Roadtrip mit meinem selbst gebauten SUV-Camper in Norditalien unterwegs. Die letzten beiden Tage war ich wegen Gewitterwarnung nicht in den Bergen, war Wandern am Lago d'Orta und habe mir Mailand angeschaut. Eigentlich wollte ich von Mailand aus direkt weiter zum Gardasee fahren und dann noch weiter nach Venedig und Slowenien in den Triglav-Nationalpark. Kaum hatte ich Mailand verlassen, sah ich diese interessante Bergkette am Horizont. Ich habe kurz angehalten und recherchiert um welche es sich dabei handelt. Schnell fand ich heraus, dass sich diese unweit des Comer Sees befand und so beschloss ich spontan meine Route zu ändern. Venedig und Slowenien werde ich dann zwar definitiv nicht mehr schaffen, aber die hebe ich mir dann halt für später auf.

Ich habe mir einen Stellplatz am Comer See gesucht und die Nacht dann dort verbracht. Wie ich später heraus fand, handelte es sich dabei gar nicht um den Comer See, sondern um den kleineren, vorgelagerten Lago di Annone. Egal, das hat mich beim Übernachten nicht gestört, da ich nach dem Frühstück eh gleich weiter Richtung Ballabio gefahren bin. Ich habe Ballabio angesteuert, da mir der eigentlich Startpunkt der Bergtour, die Rifugio Carlo Porta, schon zu weit oben erschien und ich wollte gerne ein paar Höhenmeter mehr machen.

vom Aufstieg
Zunächst kam ich an der kleinen Bergkapelle Chiesetta degli Alpini vorbei und dann ging es an kleineren Wasserfällen nach oben auf die Via Carlo Mauri. Dieser folgte ich ein ganzes Stück Richtung Nordosten, wo ich unter anderem auf einen sehr coolen Downhill-Singletrail und auf deutsche Wanderer traf, die ein Restaurant gesucht haben. Leider konnte ich ihnen auch nicht helfen und nach dem ca. 3 km langen Trail ging es ca. 5 km nur noch bergauf an der Alpe Cova vorbei. Auf diesen 5 km legte ich 1.300 Höhenmeter zurück und bis auf die schöne Aussicht in meinem Rücken war der Aufstieg recht unspektakulär. Ich ärgerte mich schon etwas, dass das hier oben von der Mailänder Stadtgrenze aus alles so spektakulär aussah und ich mich jetzt diesem doofen Weg nach oben schlängeln musste, zumal ich auch den Wolken immer näher kam und sich dann auch bald die Aussicht verabschiedete.

Aufstieg Richtung Grigna Settentrionale
Wie aber so oft bei meinen Bergtouren, eigentlich war es bisher immer der Fall, dass ich von der Wolkenseite kam und dann hinter dem Grat auf der anderen Seite des Berges eine phänomenale Aussicht genießen durfte, staunte ich oben nicht schlecht, als ich den Comer See und die vielen weiteren Seen in der Umgebung vor mir im Tal sah. Ich folgte dem Grat bis zum Gipfel des Grigna Settentrionales und legte dort oben erst mal eine wohlverdiente Pause ein. Als ich dann aber ein noch weit entferntes Donnergrollen vernahm, nahm ich meine Beine in die Hand und startete den Downhill. Von hier aus sollte es meines Wissens nur noch bergab gehen und so wollte ich auf jeden Fall vor dem Gewitter wieder einige hundert Höhenmeter weiter unten sein.

Ich düste also los und nahm den Downhill vor mir in Angriff. Ich kam an einer Schutzhütte vorbei und rannte weiter. 500 m später warf ich dann mal einen Blick auf die Karte und stellte fest, dass ich in die komplett falsche Richtung lief. Irgendwie hätte ich bei der Schutzhütte abbiegen und wohl einen anderen Weg nehmen sollen. Das Donnergrollen kam immer näher und jetzt lagen meine Nerven schon etwas blank. Ich drehte um und dachte mir, dass ich das Gewitter ja in der Schutzhütte überstehen könnte - die Wolken zogen recht schnell vorbei und das Wetter machte jetzt nicht den schlechtesten Eindruck. Leider war die Schutzhütte verschlossen und so setzte ich mich gute 30 Minuten unter den Anbau der Hütte, bis ich eine längere Zeit kein Donnergrollen mehr vernahm. Es war jetzt kein schlimmes Gewitter, alle paar Minuten mal ein Donnergrollen, aber das hat mir als unerfahrenem Bergläufer schon gereicht. Die letzten zwei Tage war ich also wegen Gewitterwarnung unten im Tal und heute, wo ich wieder in den Bergen bin und es keine Warnung gab, fing es plötzlich an zu donnern.

Grigna Settentrionale (2410 m)
Ich studierte dann auch nochmal die Karte und stellte fest, dass es von hier aus auf einen ziemlich langen Grat gehen würde. Pustekuchen mit Downhill, jetzt ging es über die Gipfel der Bergkette erst mal wieder hoch und runter. Ich war wirklich heil froh, dass ich nicht(!) in Deutschland unterwegs war und somit guten Empfang da oben in den Bergen hatte. Ich habe mich nochmal ausgiebig über das Verhalten bei Gewitter in den Bergen informiert, wirklich beruhigt hat mich das zunächst aber nicht.

Wie gesagt setzte ich dann die Tour fort, nachdem ich einige Minuten kein Donnergrollen mehr vernahm. Ich ging die Gratüberschreitung auch recht fix an, weil ich ja nicht wusste, wie weit das Gewitter nun entfernt war und ob nicht vielleicht nochmal etwas nachkommt. Natürlich stürzte ich mit meinen neuen Carbonstöcken, aber zum Glück haben die den Unfall unbeschadet überstanden. Mit der Zeit wurde ich dann auch etwas ruhiger, weil ich auch wirklich kein Donnergrollen mehr vernahm.

die böse Viper
Der Grat war technisch sehr anspruchsvoll und so musste ich auf jeden Tritt achten. Ich schaute immer genau, wohin ich meinen Fuß als nächstes stellen konnte. Zwischen den Steinen erkannte ich dann eine Schlange genau an der Stelle, wo ich meinen Fuß platzieren wollte. Zum Glück habe ich die sofort gesehen, denn das wäre hier oben ganz sicherlich das Ende meiner Tour gewesen. Wie sich hinterher herausstellte, handelte es sich um eine Viper. Eine nicht ganz ungefährliche Schlange und nach einem Biss hätte ich wohl die Bergwacht rufen müssen. Ich bin also einen Schritt zurückgegangen und habe eine andere Möglichkeit gesucht von dem Vorsprung hinunterzukommen. Leider sah ich weder links noch rechts einen Weg, der mich um die Schlange hätte herumführen können. Als ich dann nochmal zwischen die Steine schaute, schlängelte sich das Tier gerade in den Fels und war kurz darauf verschwunden.

hier musste ich absteigen
Der Grat wurde immer technischer und anspruchsvoller. Immer wieder musste ich mich an Stahlketten krallen und mich in bester Batman-Manier am Felsen abseilen oder hochziehen. Jetzt war ich also in dem spektakulären Gelände unterwegs, was ich bereits von Mailand aus sah. Nach dem Gewitter und der Schlange waren meine Nerven echt angeschlagen und ich habe nur gehofft, dass das alles bald ein Ende hat - es wurde aber noch schlimmer. Ich musste unter anderem durch eine Felsspalte über 1,5 m große Felsen klettern oder über in die Wand eingebrachte Stähle und einer Kette den Abgrund überwinden. Das Gipfelkreuz vom Grigna Meridionale war vielleicht 100 m weit von mir entfernt, aber ich hatte einfach keine Lust mehr in diesem Gelände umherzuklettern. So ließ ich es einfach aus und begann am Monte Campione direkt mit dem Abstieg.

Stahlketten und Tritte in der Wand
Bereits als ich von weit oben aus die Via Carlo Mauri sah, von der ich gekommen bin, hatte ich ein unwohles Gefühl im Magen. Bei diesem Downhill war ans Laufen nicht zu denken und so setzte ich weiterhin vorsichtig einen Fuß nach den anderen. Links und rechts von mir gab es noch interessante Felsformationen, aber wie schon beim Grigna Meridionale ließ ich die einfach aus und wollte nur noch unten ankommen. Kaum war ich unten angekommen, setzte ich mich an einen Trinkwasserbrunnen und heulte Rotz und Wasser. Ich war mit meinen Nerven echt am Ende und so froh das überstanden zu haben. Es mischte sich aber auch Stolz und Dankbarkeit, das alles erlebt haben zu dürfen, unter mein Gefühlschaos.

Vom Trinkbrunnen aus ging es nochmal über 2,5 km bergab zu meinem Auto, aber der Weg war wirklich kein Problem mehr und ließ sich zum größten Teil auch ordentlich laufen. Meine Gefühle hatte ich wieder unter Kontrolle, als wäre nichts gewesen. Nach 8,5 Stunden und über 2.400 Höhenmeter war ich wieder unten und ließ mich erst mal auf die Straße sacken. Geplant hatte ich mit vielleicht 5 Stunden und klar unter 2.000 Höhenmeter.

22,7 km - 2.448 Höhenmeter (laut Strava) - 5:50 h